IMG_76701

Meer aus Glas

IMG_7670

420 Stufen sind es bis zum Gletscher. Aber weißt du, runter geht es einfach, aber man muss sie auch wieder rauf!

Mit dieser Weisheit der Hotelezeptionistin gewappnet, löse ich die Fahrkarte zum Mer de Glace, auf deutsch Eismeer, dem drittgrößten Gletscher der Alpen. Bald darauf setzt sich die Bummelbahn, in die wir zusammen mit ca. 100 französischen Schulkindern auf Schikurs gepfercht sind, vom Bahnhof in Chamonix in Bewegung und kämpft sich bei dichten Schneefall den Berg hinauf. Erkennt man einen Gletscher unterm Schnee überhaupt? Schnee auf Schnee? Weisser Schnee auf dreckigem Schnee? Nur Schnee? Und wenn die Bahnverbindung zwischen Montenvers und Chamonix, so wie die Tage davor auch schon, eingestellt wird, während ich gerade beim Gletscher bin? Zumindest auf die erste Frage will ich heute eine Antwort finden. Auf die letzte eher nicht.

Der rote Zug  klettert Meter für Meter durch ein Reich aus schneebedeckten Nadelbäumen, Eiszapfen, Schneewächten, kaum zu erkennen in einem eisigen Cocktail aus Schneeflocken und Nebel; Elsas Reich. Die Kälte im klapprigen Zug war nur ein Vorgeschmack auf die Folgen des Öffnens der Türen an der Endstation Montenvers.

Für wenige Minuten, für wenige Schritte, ist man der Eiseskälte völlig ausgeliefert, bevor sich die Türen der Gondel schließen und diese lautlos und nahezu im freien Fall in einer dichten Nebelsuppe im Abhang verschwindet.

 

IMG_7699IMG_7605

Von der Talstation der Gondel lässt sich jetzt endlich der Grund der weiten Anreise erkennen. Das Mer de Glace reckt und streckt sich breit im ganzen Tal aus, jetzt im Winter mit neuem Selbstvertrauen und einer zusätzlich Schneedecke ausgestattet. Das rutschige Metallgestell der 420 Stufen führt jedoch nicht an einen beliebigen Punkt der Gletscherzunge, sondern an eine blau schimmernde Öffnung im Schnee; dem Eingang zu einer künstlich geschaffenen Höhle im Gletscher. Die dünne Schneelage auf der Metalltreppe wirkt als Schmiermittel, sodass die behandschuhte Hand lieber das kalt-nasse Geländer ergreift und erfrorene Finger einem gebrochenen Genick vorzieht. Während ich mich noch der wahnsinnigen Hoffnung hingebe, in der Eishöhle sei es wärmer als heraußen, üben neben dem Höhleneingang zwei Kletterer Eisklettern.

IMG_7616

IMG_7692

Das im Gletscher klaffende Loch beeindruckt nur halb so sehr wie die unwirkliche, unwirtliche Umgebung, von der sie einem kurzfristig durch bunt beleuchtete, blanke Eisgänge, Eisthron und Eistheke entreisst.

IMG_7678

Am verfrorenen Rückweg zur Gondelstation, die 420 Stufen hinauf, komme ich an einer Tafel vorbei, die den mächtigen, unbestrittenen Herrscher des Tals, der sich scheinbar unbeeindruckt von Eiseskälte und Wind ausbreitet, plötzlich schutzlus und zerbrechlich erscheinen lässt. Direkt unter der Gondelstation, also 420 Stufen über dem Mer de Glace, ist auf einer unscheinbaren Tafel vermerkt: Höhe des Gletschers 1985.

IMG_7695

Dieser Artikel ist Teil der Blogparade „Die schönsten Urlaubsziele 2016“  von Phototravellers.

Hat's dir gefallen? Hier kannst du den Artikel teilen:
RSS
Follow by Email
Facebook
Google+
http://okapiworldwide.org/?p=434
Twitter
Pinterest

4 Kommentare zu “Meer aus GlasFüge Kommentar hinzu →

Schreibe einen Kommentar zu okapiworldwide Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *