Jänner 2015
Jetzt liegt es im Straßengraben. Ich stehe mitten im Nichts auf einem Feld und versuche das Fahrrad wieder aufzustellen. Der Wind bläst mir entgegen und ich kann mich gerade noch auf den Beinen halten. An ein Vorwärtskommen ist nicht zu denken. Das Atmen fällt schwer. Als könnten sich die Lungen vor lauter Luft nicht entscheiden, welche sie einatmen sollen. Ich blicke zurück. Doch umkehren, in die andere Richtung, mit dem Wind weiterzufahren ist auch keine Option. Das Hotel liegt auf der anderen Seite. Und obwohl geradeaus mit dem Wind zu fahren in diesem Moment sehr verlockend scheint, wäre es doch sehr kurzsichtig geplant. Denn ich befinde mich auf einer Insel. Und irgendwann ist die Insel aus. Doch warum stehe ich atemlos mitten auf einem Feld in Texel mit dem Fahrrad und kämpfe um jeden Schritt vorwärts?
Dieses Jahr wünschte ich mir, meinen Geburtstag auf einer westfriesischen Insel zu verbringen. Erwähnenswert daran ist vielleicht, dass mein Geburtstag im Jänner ist. Doch einen Wochenendausflug zu einer kleinen Insel, mit einem schönen Hotel, Spaziergänge am Strand entlang eines stürmischen Meeres stellte ich mir romantisch vor.
An einem regnerischen Freitagnachmittag brechen wir also nach Texel auf. Texel ist die größte der westfriesischen Inseln und mit öffentlichen Verkehrsmitteln einfach zu erreichen. Bis Den Helder fährt der Intercity, dann kann man auf den Bus umsteigen der einen nach Texel bringen. Ja, mit dem Bus auf die Insel! Man steigt beim Bahnhof Den Helder in den Bus ein, der fährt dann zum Fährhafen und dann mitsamt Passagieren auf die Fähre. Freitagabend besteht die Mehrheit der Fahrgäste aus Pendlern, und andere Touristen wie wir, die sich nicht auskennen, sind nicht zu sehen. Die ca. zwanzig Minuten Fahrt kann man auch an Deck verbringen und sich dann vor der Ankunft wieder in den Bus begeben. Auf der Insel angekommen fährt der Bus dann alle größeren Orte der Insel ab. Unter anderem nach De Koog, wo wir aussteigen. Sofort schlägt mir eine steife Brise ins Gesicht. Also alles wie gewünscht. Selbst einige hundert Meter vom Strand entfernt hört man das Meer tosen. Am Strand ist das Donnern, mit dem die meterhohen Wellen auf den Strand gepeitscht werden, ohrenbetäubend. Der Wind weht mit hoher Geschwindigkeit den Sand der ganzen Nordseite in mein Gesicht. Hier ist es ratsam, die Muster, die durch den verwehten Sand und Hindernissen wie Gräsern entstehen, nur in Windrichtung zu betrachten, sonst verpasst einem der Wind ein Gesichtspeeling mit feinstem Nordseesand. Jedes freie Körperteil wird einer Sandstrahlenbehandlung unterzogen.
Am nächsten Morgen gibt sich die Insel zahm. Zumindest vom Frühstückstisch aus. Der Wind jagt weiße Wattehaufen über den blauen Himmel, deren Schatten sich mit Sonnenschein auf den von hellbraunem Gras bewachsenen Dünen abwechseln. Wir leihen uns Fahrräder aus um zum Leuchtturm am nördlichsten Punkt der Insel zu fahren. Mit dem Wind im Rücken kommen wir rasch vorwärts und der Radweg durch den Dünennationalpark liegt bald hinter uns. Abgesehen von den sanften Hügeln der Dünen ist die Insel sehr flach und dünn besiedelt, aber stark bevölkert. Wir fahren an gefühlten Millionen von weißen Schafen vorbei, deren warnende Blicke ich bereits vergessen haben werde, wenn ich den Leuchtturm in der Ferne erblicke. Mir bietet sich ein typisches Postkartenmotiv. Umringt von einigen bunten Häuschen steht der Leuchtturm auf einem Hügel am letzten Zipfel der Insel. Als ich die Aussichtsplattform des Turms betrete, bläst mir der deutlich stärker gewordene Wind entgegen. Doch der Ausblick über das Watt, die Dünen, die Insel und das Meer lenken von den lästigen Windböen ab. Erst als ich wieder im Fahrradsattel sitze und bemerke, dass mein Ziel genau hinter der undurchdringbar scheinenden Wand aus Wind liegt, kommen mir erste Zweifel daran, ob heute der richtige Tag für eine Inselumrundung ist. Deshalb entscheide ich mich schweren Herzens, dass sich ein Besuch beim „De Hoge Berg“ (ganze 15m ist der hohe Berg hoch) nicht ausgeht und wähle denn kürzesten Weg zurück zum Hotel durch das Innere der Insel. Die Strecke beträgt nur 10 km, sollte also leicht zu schaffen sein. Unbesorgt radle ich also los und freue mich schon auf das Spa im Hotel. Bald befinde ich mich auf einer unendlich wirkenden, schnurgeraden Straße und rundherum nur Felder, Wiesen, und vereinzelnde Bauernhöfe. Mit jedem zurückgelegten Meter wird meine Kraft schwächer, der Gegenwind jedoch immer stärker. Der Wind schiebt mich mit aller Kraft in die entgegengesetzte Richtung als ich will. Mit jedem Schritt lehrt er mich, dass Wind hier auf den friesischen Inseln etwas anderes bedeutet als in den Bergen. Dass die Insel und auch die Häuser darauf nicht umsonst so flach sind. Dass alles was ich bis jetzt als Wind bezeichnet habe, den Namen gar nicht verdient. Und dass selbst die kürzeste Strecke unschaffbar sein kann. Bei Gegenwind.
Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade „Dein schönstes Reisefoto 2015“ von fernsuchtblog.de.
…das kann es doch noch nicht gewesen sein. So eine nette Geschichte, und dann aus. C. interruptus – bitte fertigschreiben.
A. wie kamst du „heim“?
was liegt, das pickt 🙂 bestehendes Werk wird nicht verändert. Aber danke fürs Feedback, ich werds bei den zukünftigen Geschichten beherzigen.