Schritt für Schritt kämpfe ich mich den steilen Weg bergauf. Weiter als ein paar Schritte voraus ist der Weg nicht mehr erkennbar, der rote Sand des Steiges verschwimmt im Grau des Nebels. Oder der Wolkendecke, denn hoch genug dafür wären wir schon. Hinter mir höre ich in unregelmäßigen Abständen jemanden aus tiefster Kehle auf den Boden schlatzen. Gefolgt von „So trocken. Viel zu trocken.“ Zumindest weiß ich so auch ohne Sichtkontakt, dass der Bergführer noch hinter mir ist. Seufzend gehe ich weiter und versuche dabei möglichst wenig Staub aufzuwirbeln. Langsam und stetig. Langsam und stetig. Diese Worte hat mir Ramlee gleich zu Beginn unserer Wanderung im Nationalparkhauptquartier eingebläut. Langsam und stetig nähern wir uns also dem Gipfel des Gunung Kinabalu, dem höchsten Berg Borneos.
„Ich glaube, es regnet heute noch.“ Ganz davon überzeugt klingt er selber nicht, doch teile seine Hoffnung nicht, obwohl es der trockenen Landschaft Sabahs gut tun würde. Trotzdem schicke ich ein Stossgebet Richtung Himmel, es möge frühestens morgen Abend regnen wenn ich schon im Bus Richtung Kota Kinabalu sitze. Auf diesen einen Tag mehr sollte es auch nicht ankommen, nachdem die letzte Regenzeit wegen El Nino einfach ausgeblieben ist.
Da die Besteigung des Mt. Kinabalu trotz des relativ geringen technischen Anspruchs nur mit Guide erlaubt ist, zockelt also Ramlee hinter mir her. Dass die Unterhaltung stockend verläuft ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass mir die Puste ausgeht und nur durch lange Schnaufpausen unterbrochene Sätze hervorbringe, sondern auch an den eher bescheidenen Englischkenntnissen Ramlees. Auch die einstudierte Begrüßungsrede kann darüber nicht hinwegtäuschen. Jedoch genau diese geringen Englischkenntnisse machen es aber anscheinend aus, dass Ramlee mit einem winzigen Rucksack hinter mir her geht, und nicht wie die Dutzenden Sherpas die Kraxen vollbepackt mit Fässern, Paketen und Körben den Berg hinauf Richtung Laban Rata, des Schutzhauses in dem auch ich übernachten werde, hinaufschleppten, und dass Ramlee vernünftige Bergschuhe trägt nicht Flipflops, mit denen er ca. 50 mal im Jahr die 2400 Höhenmeter zum Gipfel zurücklegt.
Meine Augen habe ich ständig auf die Baumkronen unter uns, die langsam wieder im Nebel verschwinden gerichtet in der Hoffnung, vielleicht ein paar Affen zu erspähen. Ist ja schließlich Urwald hier. Zwar etwas trocken und mittlerweile auf fast 3000 Höhenmeter, aber immerhin Wald auf einer Insel nahe des Äquators. Um meine unbegründete Hoffnung auf Affensichtung zu zerstreuen, legt Ramlee ab und zu einen Umweg ein um stolz einige leicht angetrocknete Schlauchpflanzen vorzuführen, nicht ohne zu erwähnen, dass einen Hügel weiter viel schönere wachsen. Der Hügel der zu seinem Dorf gehört, Kundasang.
Je dünner die Luft wird, umso gesprächiger wird Ramlee. Einige Male weist er auf Beschädigungen durch das Erdbeben des letzen Jahres hin. Die Narben am Berg sind weithin durch das weiße Gestein zu sehen, das durch Hangrutsche zum Vorschein kam, und auch große Teile des Weges zum Gipfel mussten neu angelegt werden.
Auch Ramlees Dorf kam nicht ohne Schäden davon, doch Ramlee ist vor allem froh, an diesem Tag nicht am Berg gewesen zu sein, sondern einen Tag zuvor. Nächste Woche wird er die Tour nicht machen, denn es stehen einige Arbeiten in seinem Dorf an. Eine neue Straße wird betoniert, und er wird mithelfen ein Stück Regenwald zu roden. Durch die Trockenheit ist ein Großteil der heurigen Ernte ausgefallen, und sie brauchen größere Äcker.
Doch den zweiten Teil des Satzes höre ich nicht mehr. In Gedanken habe ich Ramlee schon längst in den Abgrund gestoßen. Den Regenwald roden? Das machen doch nur böse Konzerne und gewissenlose Umweltzerstörer?
Ich sitze in dunklen kurz unter dem Gipfel. Weiter oben turnen Dutzende Asiaten herum um das beste Selfie von sich selbst und dem Gipfelschild zu ergattern. Alle Touren sind darauf ausgelegt, um den Sonnenaufgang am Gipfel zu erleben. Geht man zu schnell, wartet man bei Eiseskälte in der Dunkelheit unter dem Gipfel, denn am Gipfel selbst ist zu wenig Platz für alle, und hat Zeit darüber nachzudenken, warum man mitten in der Nacht das Bett verlassen hat, um sich mit Stirnlampen gewappnet die letzten 822 Höhenmeter den Berg hinaufgequält hat, um jetzt hier zu warten.
Während die Sonnenstrahlen hinterm Horizont lauern, denke ich über die Unterhaltung von gestern nach. Wie arrogant es von mir Europäerin ist zu erwarten, die Menschen in Borneo wären damit zufrieden, ihren Regenwald anzuschauen. Nur weil wir in Europa bereits jeden Zentimeter bereits Hundertmal übergegraben haben, eine Autobahn daraufgebaut haben, dann ein Rapsfeld angelegt und schließlich einen Flughafen daraufgebaut haben? Und jetzt erwarten wir von Menschen, die noch in relativ unberührten Gegenden wohnen, auf den Wohlstand, den uns eben diese Autobahnen, Felder und Flughäfen brachten, zu verzichten? Weil wir doch gerne ein paar Fleckchen Erde hätten, an dem Orangutans fröhlich von Urwaldriese zu Urwaldriese schwingen?
Es quält mich etwas, den Gedanken zu formulieren, der gegen alle meine bisherigen Überzeugungen spricht. Gibt es tatsächlich gute Gründe, den Regenwald abzuholzen? Müssen Menschen nicht zwangsweise böse oder unterbelichtet um zu roden? Ramlee scheint zumindest relativ nett zu sein. Und sein Dorf hat sicher nicht El Nino verursacht. Trotzdem kann ich beim Gedanken daran, dass ab morgen wieder ein Stückchen weniger Regenwald existiert, den Sonnenaufgang auf 4095 nicht recht genießen.
Du möchtest noch mehr Menschen begegnen? Schau bei der Blogparade Reisebegegnungen von heldenwetter vorbei!
Tolle Story, bringt einen zum Nachdenken.
Manchmal sind wir sehr schnell mit Urteilen über andere. Aber glücklicherweise gibt es Menschen, die sich selbst reflektieren. Toller Beitrag!
Danke! Freut mich dass dir der Beitrag gefällt. Viel Spaß noch auf den Philippinen!
Eine spannende Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Das mit dem Thema Regenwaldrodung ist tatsächlich nicht so einfach – schließlich kann man Menschen schlecht die Lebensweise verbieten, die sie seit Jahrhunderten pflegen, und außerdem stellt sich natürlich auch die Frage, wie die Menschen sonst überleben sollen. Zum Glück werden solche gerodeten Felder dann normalerweise nicht als Monokultur verwendet, sondern einigermaßen umweltfreundlich bepflanzt – die Menschen, die in tropischen Regenwäldern leben, wissen normalerweise, wie man diese sinnvoll nutzt und auch erhält.
Vielen Dank für diesen tollen, reflektierten und ungewöhnlichen Beitrag zu meiner Blogparade!
Ich hoffe du hast recht und auf dem Fleck befindet sich jetzt keine Monokultur. Aber ich denke die Chancen stehen recht gering, da die Gegend bekannt ist für Salatanbau. Den Kreisverkehr im nächstgelegenen Dorf des Nationalparks ziert sogar ein riesiger Salatkopf! Aber wenns nicht zu kalt wäre wegen der Höhenlage stünde dort sowieso schon eine Palmölplantage…