Sie ist tatsächlich noch da. Immer noch. Bei Tageslicht sieht sie noch gefährlicher aus als bei Nacht. Das Grün der Schlange, von deren Gegenwart ich mich soeben überzeugt hatte, ist haargenau das gleiche wie das Grün des Busches um den sie sich gewunden hatte. Der Busch, an dem ich die letzten paar Tage mindestens 20 mal vorbeigegangen bin. Der Busch, neben dem mich eine Bande von Makaken meiner Papaya berauben wollte. Der Busch, in dem eine Weißlippen-Bambusotter sitzt. Der Busch, um den ich ab jetzt einen großen Bogen machen werde. Sowie um jedes andere Gewächs hier im Wald. Ein schwieriges Unterfangen mitten im tropischen Regenwald über dessen Bewohner ich seit gestern Nacht mehr weiß. Wissen, das ich gestern noch nicht hatte.
Der kleine Elektromotor heult immer wieder gequält auf, als der junge Malaye versucht, das vollbesetzte Boot wieder aus der Untiefe zu befreien, auf die es aufgelaufen war. Zu erkennen, wo das Wasser des Flusses wieder tiefer wird, ist in der hellbraunen Brühe unmöglich. Schließlich löst sich das Boot vom schlammigen Grund und wir fahren weiter Richtung offenes Meer und dem letzten Zipfel der Halbinsel, vorbei an kuriosen Holzgestellen die mitten im Fluss zum Fischfang ihr Dasein im Schlamm fristeten. Die Kulisse wechselt langsam von Dorf auf gelegentliche Pfahlbauten am Ufer zu Mangroven und blickdichten Waldgebirgen dahinter.
Plötzlich heult der Motor wieder auf. Wir stecken schon wieder fest. Doch diesmal versucht der Fahrer jedoch nicht, uns wieder mit dem Ruder loszustossen, sondern deutet in Richtung des Sandstrandes der hinter einem verwachsenen Felsen zum Vorschein kam. Endstation. Wir sollen das letzte Stück zu Fuss gehen. Oder schwimmen? Ich schlüpfe aus den Flipflops und strecke vorsichtig die Zehen in das undurchsichtige Braun. Nach einigen Sekunden der Ungewissheit versinkt mein Fuss nicht wie befürchtet im Schlamm sondern landet im knietiefen Wasser auf weichem Sandboden. Mit Schlapfen und Rucksack in den Händen wate ich Richtung Strand. Als ich mich dem Strand nähere, kann ich die Schrift auf einem Holzschild entziffern:
„Welcome in Bako National park!“
begrüßt mich auch der Mitarbeiter des Nationalparks, nachdem er mir die Schlüssel für die kleine Holzhütte, in der ich übernachten werde, gab.
Gewappnet mit meiner Stirnlampe mache ich mich auf den Weg zum Parkhauptquartier. Im Stockdunklen gehe ich die wenigen Meter von meinem Quartier in einer kleinen Holzhütte zwischen Gebüsch und Urwaldriesen auf dem befestigten Holzsteig.
Beim Hauptgebäude warten bereits einige Leute auf die geführte Nachtwanderung. Zwei Parkranger werden uns die nächtlichen Bewohner des Regenwalds zeigen. Und weit müssen wir auch nicht gehen bis wir die erste Bewohnerin treffen. Nur ungefähr einen Meter entfernt von dem Weg, den ich soeben gekommen war, leuchtet der Parkranger eine kaum sichtbare, weil gut getarnte Schlange an. Der Schwanz der grünen Schlange ist fest um den Ast gewickelt, während sie seit ein paar Tagen wartet, bis sich jemand nahe genug wagt, um dann hervorzuschnellen. Ihre gelben Augen im Scheinwerferlicht bestätigen ihre Absichten.
Der Lichtkegel des Scheinwerfer erfasst Malaien-Gleitflieger (flying lemur), schlafende Eisvögel und Schwalbennester in der Höhe der schwarzgrünen Baumkronen. Doch am Boden, kreucht und fleucht es. Die Bewohner des Regenwalds scheinen sich hinter jedem Blatt zu verstecken. Giftige Minifrösche, Taranteln, Feuerameisen. Was erwartet man mitten im Regenwald auf Borneo? Natur pur. Das heißt bizarre Insekten hinter, neben, auf jedem Blatt. Und manchmal sind sogar Blätter Insekten. Doch mir läuft diese Erkenntnis zusammen mit einer Gänsehaut den von Angstschweiß bedeckten Rücken runter. Geistertausendfüsser, Gespenstschrecken. Auch ohne diese klingenden Namen wäre diese Kreaturen meine Aufmerksamkeit gewiss gewesen, während ich versuche, mit möglichst großem Abstand daran vorbeizubewegen.
Ein Gedanke lässt mich versteinern. Ich bin heute den ganzen Tag durch den Nationalpark gewandert. Ich kann nicht mehr aufhören daran zu denken, auf wie viele Insekten ich heute schon draufgestiegen bin, wieviele ich angefasst habe, wenn ich beim wandern achtlos meine Hand über Blätter streifen ließ? Unter wievielen Bambusottern ich durchgegangen bin während ich nach Nasenaffen Ausschau gehalten habe? Auf wieviele wandelnde Blätter ich gestiegen bin als ich barfuß von einem Wasserfall zum nächsten gekraxelt bin?
Das Ende der Geschichte und Antworten auf zumindest einige der obigen Fragen kommt nächste Woche!
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