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15 Minuten Ruhm in Mumbai

Die ersten Schritte in Mumbai. In der Stadt von der wir so viel gehört hatten. Die Stadt, auf deren historische Bauwerke wir schon sehr gespannt waren. Der Stadt vor deren Taschendiebe uns die Bewohner Südindiens gewarnt hatten. Die Stadt, die beim Gedanken an deren Menschenmassen den junge Kellner auf der kleinen Lakshadweep-Insel Bangaram aufstöhnen ließ. Die Stadt, in der wir sämtliche kulinarischen Köstlichkeiten durchprobieren wollten, die Stadt mit dem größten Slum Asiens.

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Wenige Stunden vorher waren wir standesgemäß empfangen worden durch einen Taxifahrer, der uns nach einigen ziellosen Runden in der Innenstadt, verständlislosen Blicken auf den GPS-Punkt am Handybildschirm, dem gekonnten ignorieren unserer exakten Wegbeschreibung zum Hotel vom Handy und mehreren ratlosen Konsultationen mit Männergruppen am Straßenrand schließlich irgendwo in der Stadt aus dem Taxi geschmissen hatte mitsamt unseren Rucksäcken, die am Autodach festgebunden waren.

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Unsere ersten gezielten Schritte in dieser Stadt führen uns also gleich zur Hauptattraktion Mumbais, dem Gateway of India. Der Platz vor diesem Triumphbogen ist voll mit Menschen, die Schlangen vor den Sicherheitskontrollen beim Zugang sind lang, bewegen sich aber schnell vorwärts. Gruppen von Touristen machen Fotos, es wird posiert, Selfies mit dem Triumphbogen gemacht, Fotografen gehen herum und bieten ihre Dienste an, Tourenanbieter wollen Tickets für Stadtrundfahrten und Bootsausfahrten verkaufen und Verkäufer für allerhand Zeugs vervollständigen den Trubel.

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Wir gehen ein paar Schritte auf das Denkmal in der Mitte des Platzes zu, als plötzlich ein junger Inder im bunten Hemd auf mich zukommt. In perfektem Englisch bittet er um ein Foto mit mir vor dem Gateway of India. Etwas geschmeichelt stimme ich zu und stelle mich in Pose um ein Selfie mit ihm aufzunehmen. Doch stattdessen dreht er sich um und ruft seine Freunde, die in sicherem Abstand gewartet haben her und statt auf dem einen Foto bin ich nun mitten in einem Fotoshooting mit mindestens 5 Burschen, in unterschiedlicher Zusammenstellung, weil natürlich derjenige, der das Foto aufnimmt nicht vergessen werden darf, aus verschiedenen Winkeln und immer mit dem Gateway of India im Hintergrund. Endlich hat jeder sein gewünschtes Bild, sie bedanken sich und gehen weiter. Auch ich denke, jetzt endlich etwas näher meinem eigentlichen Ziel zu kommen, als sich eine Familie schüchtern nähert und „Photo?“ fragt. Ok, warum nicht. Auf eines kommt es jetzt auch nicht mehr an. Plötzlich wird mir ein schreiendes Kind in die Hand gedrückt. Der kleine Bub schaut mich entsetzt and, verzieht sein Gesicht und setzt zu einem neuem Gebrüll an. Unberührt davon stellen sich die Eltern abwechselnd neben mich während der andere fotografiert. Nach einigen Fotos verabschieden sie sich. Erleichtert, jetzt endlich meinen bisher recht kurzen Weg fortsetzen zu können, bemerke ich die kleinen wartenden Grüppchen die sich um mich gescharrt hatten und mich erwartungsvoll anstarren. „Photo?“ „No, sorry.“ sage ich kurzentschlossen und eile endlich Richtung Triumphbogen. Doch aus den Augenwinkeln sehe ich noch, welche Enttäuschung meine Antwort hervorgerufen hatte. Mit einer so emotionalen Auswirkung meiner recht schnell entschlossenen Antwort hatte ich nicht gerechnet. „No?“ mit großen Augen starrt mich das Mädchen an, zuckt dann mit den Schultern, und zieht mit einem Gesichtausdruck ab, der mich meine Reaktion bereuen lässt. Auch die rings um uns Herumstehenden schauen mich an als hätte ich sie gerade wüst beschimpft und bespuckt. Ich eile fort und überlege mir, was ich falsch gemacht habe, um solches Aufsehen zu erregen. Obwohl ich bei meinem kurzen Ausflug fast nur indische oder aus den Nachbarländern stammende Touristen gesehen habe, bin ich mir sicher, dass westliche Touristen an der bekanntesten Sehenswürdigkeit von Mumbai keine Seltenheit sein können. Ist mein Kleid zu kurz? Haare zu hell? Zu groß? Sicher, ich schaue offensichtlich nicht indisch aus. Verwechseln sie mich mit jemanden wirklich berühmten? Vielleicht ist okapiworldwide.org ein voller Erfolg in Indien und ich habe es nicht bemerkt weil WordPress mir die Millionen von Klicks auf meiner Seite nicht anzeigt?

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Für den nächsten Tag wähle ich das dezenteste und bedeckenste Outfit, das ich mithabe. Wir wollen auf die Insel von Elephanta, die Boote dorthin legen direkt hinter dem Gateway of India ab, wir müssen also wieder über die große Fotoshooting-Bühne. In der Morgensonne ist der Platz deutlich weniger besucht, doch wir kommen wieder nur ein paar Schritte bis wir ums erste Foto gebeten werden. Diesmal posieren wir, sagen „Just one“ und gehen ein paar Schritte weiter, wo sich dann das Spiel wiederholt. Doch mit dieser Taktik schaffen wir es zum Ausflugsboot, ohne jemanden zu Tode beleidigen, und ohne stundenlang in fremde Kameras lächeln zu müssen.

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Noch vor dem größten Touristenansturm erklimmen wir in der Hitze die vielen Stufen zum Haupttempel in einer der in Fels gehauenen Höhlen. Minütlich wird es heisser. Ich setze mich auf eine der Steinstufen vor einem der Tempel und betrachte die berühmten Skulpturen vom Schatten aus. Unter einem Baum spielen Affen mit einer erbeuteten Plastikflasche. Neben mir macht eine Familie Fotos mit dem Tempeleingang. Ich rücke etwas zur Seite um das Bild nicht zu stören und schaue weiter den Affen zu. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie auch die Frauen mit dem Kind in meine Richtung nachrücken. Anscheinend war das gewünschte Motiv nicht Familie vor Tempeleingang sondern Familie und ich vor Tempeleingang.

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Ich wandere die Insel ab und bewundere die uralten Steinfiguren von Shiva und Co. Nach einiger Zeit wird mir die Hitze zuviel und ich setze mich auf einen Felsvorsprung. Ich schaue den Mädchen einer Schulklasse zu, die sich abwechselnd ganz heimlich unter den Felsen Stellen auf den ich Sitze und Fotos machen. Ich versuche dieses skurrile Beispiel auf einem Foto festzuhalten und fotografiere zurück. Die Mädchen bemerken, stellen sich sofort in eine Gruppe zusammen und posieren grinsend.

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An unserem letzten Abend in Mumbai beschließen wir nochmal den Trubel am Gateway herauszufordern. Wir setzten uns an den Kai und genießen den Blick auf den beleuchteten Triumphbogen und das berühmte Hotel Taj Mahal Palace dahinter. Natürlich posierten wir wieder für ungefähr Tausende Fotos. Immer wieder setzen sich Menschen neben uns und beginnen ein Gespräch um dann um ein Foto zu bitten. Zum Beispiel ein kleines Mädchen das nur mit mir allein ein Foto will weil, ich zitiere, sie mich so hübsch findet :-). Eine Gruppe Männer mit Bart und fremdartigen weißen kleidartigen Gewand die sich wortlos neben mich setzen um sich von einem Fotografen ablichten zu lassen. Das frisch vermählte Paar, wobei mir die Braut in einem Sari aus grüner Spitze stolz die Hennabemalungen an ihren Armen und die vielen Armreifen die darauf baumeln zeigt. Und ein Foto mit der Familie aus Maharashta. Und mit den Jugendlichen aus Mumbai. Und mit ca. hundert anderen.

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Später am Abend machen wir uns auf den Weg zum Flughafen. Die Warteschlange an der Sicherheitskontrolle ist lang. Vor uns steht eine Gruppe Inderinnen und machen Selfies. Mir ist langweilig beim Warten und deshalb schaue ich den anderen Wartenden zu. Wie sie tratschen, vor sich hin starren oder am Handy spielen wie die Frau vor mir. Mein Blick streift über das Display des Telefons und bleibt hängen. Die Frau bearbeitet gerade ein Porträt dass sie beim Warten aufgenommen hatte…von mir!

Ich steige in den Flieger zurück nach Amsterdam mit dem Gewissen, auf dieser Reise Spuren hinterlassen zu haben. Auf Tausenden indischen Computern und Smartphones, die jetzt ein Foto mit mir darauf gespeichert haben. Welche von denen ich weiß, und noch viele mehr, die ich nicht bemerkt habe.

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